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LEKTÜRE

Innenwelt 15 widmet sich der kindlichen Seele

Die in der Einleitung zum Heft gestellten Fragen „Wie war Ihre Kindheit?“ „Was prägte uns?“ „Was bewegte uns?“ und „Wann handeln wir?“ weckten Erinnerungen an meine eigene, traurige  Kindheit. Ein Elternteil war psychisch krank, medikamenten- und alkoholabhängig. Sein Suizidversuch passierte, als ich 10 Jahre alt war. Meine Geschwister und ich haben alles mitbekommen, aber keiner der Erwachsenen aus unserem familiären Umfeld hat darüber gesprochen. Unsere Kindheit war also geprägt von Angst, Verunsicherung, Verdrängung und Schuldgefühlen. So blieb es nicht aus, dass auch ich in sehr frühen Jugendjahren an Depressionen und Angstzuständen erkrankte. Bis ich professionelle Hilfe bekam, ich mir helfen ließ, vergingen über 20 Jahre. Mein langer Leidensweg hätte mit einer kind- und jugendgerechte psychischen Versorgung bestimmt wesentlich verkürzt werden können. Für eine glückliche Kindheit ist es in meinem Fall also doch zu spät. Ich habe aber aufgehört, darüber traurig zu sein.

Als Kinder hätten wir jedenfalls damals einen Menschen gebraucht, der mit uns über unseren kranken Elternteil spricht, uns aufklärt und entlastet, Licht in unseren Alltag bringt. Später hätte ich vielleicht einen Lehrer gebraucht, der erkennt, wie es um mich steht und mir hilft. Jemanden der mir sagt, was mit mir los ist. Ich wusste es ja nicht, es ging mir einfach phasenweise nicht besonders gut und ich zog mich zurück. Das alles ist sehr lange her. Damals wurde über psychische Erkrankungen überhaupt noch nicht gesprochen, sie galten als menschlicher Makel. Menschen, die zu Psychotherapeuten gingen, gab es nur in amerikanischen Komödien, sie galten als höchst neurotisch. Hierzulande mussten psychisch kranke Menschen mit ihren Problemen alleine fertig werden oder sie verschwanden monatelang in psychiatrischen Anstalten, wo sie mit Medikamenten vollgepumpt und „ruhig gestellt“ wurden. So gesehen hat sich im psychiatrischen Bereich sehr viel getan. Wohlgemerkt in Hinblick auf den Erwachsenen.

Ein psychisch krankes Kind landete in meiner Kindheit unter Umständen in Erziehungsanstalt oder Sonderschule, kindgerechte Therapien gab es damals nicht, es blieb oftmals auch in der Schule zurück, die Ausbildung litt.. Wenn ich nun in der neuen „innenwelt“ lese, dass es in Österreich auch heute noch einen eklatanten Mangel in der psychischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen gibt, hierzulande nur 14 Kassenkinderärzte auch in Kinder- und Jugendpsychiatrie ausgebildet sind, in allen Fällen erhebliche Wartezeiten bestehen, dann zeigt dies wieder einmal, wie gering der Stellenwert von kindlichen Bedürfnissen in unserer Gesellschaft ist. Kinder brauchen eine moderne medizinische Versorgung, sie müssen sich gesund entwickeln können. Aber wer weiß schon, wie sich bei Kindern und Jugendlichen Depressionen zeigen, psychotische Schübe, Angstattacken und wie ihnen geholfen werden kann. Darüber gibt es so gut wie keine Fachliteratur, keine Elternratgeber. So wird der Leidensweg von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen auch heute noch unnötig verlängert. Es wäre also längst Aufgabe der Politik, die besten Voraussetzungen für Forschung und Ausbildung zu schaffen, entsprechende Einrichtungen zu finanzieren, wo Eltern und ihre Kindern in Krisensituationen rasch professionelle Unterstützung erhalten und das natürlich kostenfrei! Für eine gesunde Gesellschaft von morgen.

Ich als Betroffene habe es mir jedenfalls zur Aufgabe gemacht, mit meinen Kindern und im Freundeskreis sowie auch im beruflichen Umfeld über meine Depressionen offen zu sprechen. Ich lege Wert darauf, dass ich auch, wenn ich krank bin, als ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft gelte. Das Allerwichtigste ist also, die Dinge anzusprechen und im Gespräch zu bleiben. Kinder sind sehr interessiert und verständnisvoll. Sie freuen sich, wenn sie für voll genommen werden und Bescheid wissen. Und das Beste daran ist, dass damit ihr Vertrauen in uns Erwachsene wächst!
(Trudy A.; der Name wurde von der Redaktion geändert und lässt keine Rückschlüsse auf die Verfasserin dieses Beitrags zu)


innenwelt 15
Für eine glückliche Kindheit ist es nie zu spät

Ausgabe Jänner - März 2013

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