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LEKTÜRE

innenwelt 18 "Der Patient im Mittelpunkt?"

Die Beiträge in der aktuellen Ausgabe der Innenwelt nähern sich aus unterschiedlichsten Blickwinkeln der Frage, ob denn der psychisch Kranke als Patient im Mittelpunkt unseres Gesundheitssystems steht. Es zeigt sich, dass sowohl die Krankenkassen als auch die politischen Entscheidungsträger angesichts der rasch steigenden Zahl von psychisch Erkrankten bemüht sind, mit Strategien zur psychischen Gesundheit die Situation von Patienten zu verbessern. Wichtig für die Betroffenenbewegung ist, dass zum Beispiel dem Trialog – der Zusammenarbeit von Professionisten, Betroffenen und Angehörigen – vonseiten der öffentlichen Stellen immer mehr Bedeutung beigemessen wird. So ist der Verein Achterbahn unter anderem in den wichtigsten politischen Entscheidungsgremien in der Steiermark vertreten und wird auch bei der Gestaltung von Gesetzen um Stellungnahme gebeten.


Dennoch ist der Weg zu einer optimalen Versorgung von psychisch Kranken noch weit. Für Irene Burdich von HPE Wien wäre es zum Beispiel in Hinblick auf eine dauerhafte Genesung, sinnvoll, dass es „bereits ab der Diagnose eine auf die individuelle Situation und den spezifischen Bedarf abgestimmte lückenlose Begleitung eines erkrankten Menschen gibt.“ (Innenwelt 18, S. 8, "Zusammen ist man weniger allein") Die großen Problemfelder im Versorgungssystem, die es zu beackern gilt, zeigen sich allerdings viel früher, noch lange vor einer Diagnose: „Man kann mit Fug und Recht sagen, dass psychisch Kranke gegenüber somatisch Kranken strukturell diskriminiert sind. In ganz Österreich, besonders im ländlichen Bereich, besteht ein mittlerweile dramatischer Mangel an Fachärzten.“, stellt Prim.a Dr. Christa Rados in ihrem Interview mit der Innenwelt „Psychotherapie und Psychopharmaka: Die Kombi macht´s!“ (Innenwelt, S. 12) fest. Möglicherweise einer der Gründe, warum viele psychisch Kranke bei Beschwerden keinen Arzt aufsuchen (können) oder anstatt der bewährten Kombination auf Psychotherapie verzichten und sich nur für die Einnahme von Psychopharmaka entscheiden, die vom Allgemeinmediziner ohne weitere Anweisungen verschrieben wurden. Dies gilt aber nur für den Fall, dass überhaupt die richtige Diagnose vorliegt, denn auch das kann dauern. Die Folge: ein unnötig langer Leidensweg (Innenwelt 18, S. 6 „Der lange Weg zur Diagnose“), der für Betroffenen sehr unangenehm sein kann und für das Gesundheitssystem unnötig hohe Kosten verursacht. Und selbst, wenn eine Diagnose besteht, tun sich Hindernisse auf: Psychiatrische Kliniken sind in Österreich in der Regel überbelegt, Tageskliniken ausgebucht. Daher muss sich der von einer psychischen Erkrankung Betroffene, der eigentlich auf der Stelle Hilfe bräuchte, damit abfinden, auf eine Warteliste gesetzt zu werden (Wartezeit u. U. bis zu 2 Monate!). Natürlich gibt es landauf landab Kliniken, die für eine bestimmte Region zuständig sind und psychisch Kranke aufnehmen müssen. Dennoch oder gerade deshalb sind diese Einrichtungen wegen der meist zu geringen Bettenzahl oft überbelegt und die wenigen diensthabenden Ärzte überlastet. Daher kann es unter Umständen schon vorkommen, dass Betroffene bereits am Telefon von einem wenig empathischen, weil überforderten Arzt zurückweisend behandelt werden und sich dann weigern, die zuständige Klinik zu besuchen. Bedauernswert sind überdies all jene, die an Wochenenden von einer akuten psychischen Krise heimgesucht werden, denn dafür gibt es eigentlich bis auf die Telefonseelsorge kein Hilfsangebot. Der Patient im Mittelpunkt?

Ich habe einen Traum: Psychiatrische Einrichtungen werden aus Krankenhäusern ausgelagert. Denn kann ein Aufenthalt im Sechsbettzimmer, im Schlafrock statt in Alltagskleidung (warum eigentlich?), mit Essen direkt ans Bett, fehlenden Gemeinschaftsräume, mit mangelndem Therapieangebot wegen zu geringer finanzieller Mittel und Ärzten in weißen Kitteln gesund machen? Viele Patienten verlassen das Krankenhaus zwar medikamentös eingestellt aber nicht gesünder als zuvor. Daher meine Forderung: Tauscht doch Krankenhausmief und Kasernenatmosphäre gegen Sanatorien mit Wellness-Ambiente in modernem Design mit Therapeuten in legerer Freizeitkleidung, mit wohlschmeckendem Wahlmenü, umfassendem Therapieangebot, Sport- und Freizeitaktivitäten, Selbsterfahrungskursen und ausreichend Grünraum zum erbauendem Aufenthalt im Freien... Was wir uns als von psychischer Erkrankung Betroffene hier erträumen, wird somatisch Kranken längst geboten: Nahezu kostenlose Kuraufenthalte in ****- oder gar *****-Hotels.

Ich träume weiter: Wieder zu Hause, lässt sich der Patient eine Psychotherapie verordnen - auf Krankenschein selbstverständlich - und nimmt sich ausreichend Zeit, den geeigneten Therapeuten zu suchen und zu finden. Außerdem kann er aus einem breit gefächerten, kostenlosen Angebot an ambulanten Behandlungen, Therapien oder Selbsthilfeeinrichtungen das Richtige für sich auswählen. Zu teuer? Kurzfristig gesehen vielleicht, langfristig gerechnet bestimmt nicht, weil mit all dem eher eine dauerhafte Genesung erreicht werden kann, als mit den heute gängigen Angeboten, bei denen auf Kosten von Patienten (scheinbar) gespart wird, was aber nicht wirklich gelingt, blickt man auf die Menge an Psychopharmaka, die heute (meist langfristig) in Österreich verschrieben und eingenommen werden, auf die zahlreichen Frühpensionen, in die viele psychisch Kranke geschickt werden (kontraproduktiv!), auf die unzähligen Krankenstände, die wegen psychischer Erkrankung in Anspruch genommen werden.......und auf die realen Kosten, die dadurch verursacht werden. Denn immerhin belasten neuropsychiatrische Erkrankungen allein die Volkswirtschaft Europas mit jährlich 798 Mio Euro (Innenwelt S 14, Es gibt keine psychische Gesundheit.....).
Michaela Wambacher, Redaktion Achterbahn


innewelt 18
"Der Patient im Mittelpunkt?"

erschienen im Jänner 2014

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