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LEKTÜRE

Kindern Mut machen. Hilfe bei Schüchternheit und Ängsten

Sein Nervenkostüm kann man sich nicht aussuchen, es ist genetisch festgelegt, wie es beschaffen ist, davon bin ich überzeugt. Wir kommen also damit auf die Welt. Wer Kinder oder Geschwister hat, wird das bestätigen. Ich zum Beispiel war ein sehr schüchternes Kind, leicht eingeschnappt. Meine Schwester war das genaue Gegenteil: lebhaft, extrovertiert und emotional stabil. Ich mied Gesellschaften, meine Schwester nutze sie für ihre ersten Turnvorführungen. Für meine Eltern war sie das Mädchen mit dem „Hackstockgemüt“. Ich war das "Sensibelchen", das sich in alles hineinsteigerte. Mein zweiter Sohn ist in vielem ähnlich wie ich. Mein zweiter Sohn ist in vielem ähnlich wie ich. Er hat nicht nur meine Gesichtszüge oder die Augenfarbe geerbt, sondern leider auch das Nervenkostüm. Ich litt darunter, dass sich Mutter und Vater gerne über meine Ängste und Sorgen lustig machten und musste im Laufe meines Lebens nach zahlreichen Erfahrungen Strategien entwickeln, um meine Ängste und das daraus resultierende Vermeidungsverhalten in den Griff zu bekommen und meine Isolation, die schließlich folgte, zu überwinden. Ich hatte Erfolg und konnte daher auch meinen Zweitgeborenen unterstützen. So kam ich zu dem Schluss, dass die Förderung der Selbstständigkeit bei unsicheren Kindern sehr wichtig ist. Beschützen und vor bestimmten Situationen bewahren hat sich als eher kontraproduktiv erwiesen, weil es aus meiner Erfahrung das Vermeidungsverhalten fördert. Das eine oder andere Mal musste ich meinem Kind einen sanften „Stoß ins kalte Wasser“ erteilen, damit es Herausforderungen annahm. Und das kam schlussendlich immer der Stärkung seines Selbstbewussteseins zugute. Vielleicht habe ich ihm einiges ersparen können.

Der Ratgeber „Kindern Mut machen. Hilfe bei Schüchternheit und Ängsten“ (Sabine Friedrich, Volker Friebel, erschienen im BALANCE buch + medien verlag, 2011), den ich sehr empfehlen kann, ist ein Leitfaden für Eltern von ängstlichen und schüchternen Kindern, aber auch für betroffenen Kinder selbst, denen die im Buch enthaltenen Geschichten Mut machen sollen. Weil Ängste zum Leben gehören, geht es den AutorInnen darum,dass Eltern ihre Kinder ermutigen, Ängste anzunehmen, richtig einzuordnen und aus eigener Kraft zu bewältigen. Das Handeln trotz Angst - bei Auftritten, Arztbesuchen, Prüfungen, sportlichen Aktivitäten uvm. - wird im Buch als „Mut“ bezeichnet. Mut soll aber nicht als Gegenteil von Angst, sondern als das Überwinden von Angst oder das Handeln trotz Angst verstanden werden.
Ich lernte leider erst im Erwachsenenalter und mit professioneller Unterstützung, Schritt für Schritt, auf Ängste angemessen zu reagieren und fand schön langsam zurück ins Leben. Mit jeder bewältigten Situation stieg mein Selbstwert. Die gute Nachricht ist also: Mut lässt sich lernen und daher gibt es Wege aus der Angstspirale. Je früher man damit anfängt, desto besser. Tatsache ist aber, dass den Weg kein anderer als man selbst gehen kann. Denn der Weg aus der Angst führt durch die Angst.

Im vorliegende Buch werden die häufigsten Ängste von Kindern aller Altersstufen anhand von Beispielen dargestellt und es wird erläutert, wie Eltern darauf reagieren können. Denn Ängste sind oft verdeckt und äußern sich nur über Umwege wie körperliche Symptome oder Schüchternheit. Angst und Schüchternheit haben vieles gemeinsam. Viele Empfehlungen im Buch sind daher für beides hilfreich. Da Kinder und ihre Ängste sehr verschieden sind, bietet das Buch vielfältige Lösungsmöglichkeiten. Um die passenden für sich und sein Kind zu finden, braucht es Geduld und danach Konsequenz und viel Zeit fürs Üben. Und erwarten sie nicht, dass ihr Kind von heute auf morgen seine Ängste verliert, es kann dauern und es ist vielleicht ein lebenslanger Prozess. Ich muss auch heute noch auf der Hut sein, wenn ich bei Ängsten zu Vermeidungsverhalten tendiere und mich in Situationen schubsen, die ich lieber vermeiden möchte.

Michaela Wambacher, Redaktion Achterbahn


„Kindern Mut machen.
Hilfe bei Schüchternheit und Ängsten“

Sabine Friedrich, Volker Friebel
BALANCE buch + medien verlag, 2011

184 Seiten
ISBN: 978-3-86739-067-5
15,40 €

http://www.balance-verlag.de