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AKTUELLES

11.01.2018

Interview mit Kurt Senekovic in der HPE-Zeitschrift "KONTAKT"

„Heute weiß ich, dass das Leben auch mit einer psychischen Erkrankung sehr lebenswert sein kann!“ Daniela Schreyer im Gespräch mit Kurt Senekovic, dem Gründer des Vereins „Achterbahn“, einer Plattform für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Er spricht über seine Erfahrungen mit Bipolaren Störungen und über seinen Weg aus der Erkrankung.

Das nachfolgende Interview ist erstmals in der Ausgabe 05/2017 "Bipolare Störungen" der HPE-Zeitschrift KONTAKT erschienen.


Eine erste Manie gefolgt von einer schweren Depression vor mittlerweile vielen Jahren hat Ihr Leben in einen Scherbenhaufen verwandelt. Wollen Sie kurz berichten, was damals passiert ist?

Kurt Senekovic: Bei mir ist die bipolare Erkrankung so richtig im Jahr 1998 ausgebrochen. Auslöser war eineTrennung, die ich nur ganz schwer verkraftet habe. Bis zu diesem Zeitpunkt stand ich voll im Berufsleben. Es ist mir alles gut von der Hand gegangen und ich bin mit beiden Beinen am Boden gestanden. Ich habe Haus gebaut, bin Vater geworden, war einfach mitten im Leben. Nach dem Totalzusammenbruch vergingen Jahre bis ich eine Einsicht in meine Erkrankung bekam und verstehen konnte, dass ich eine psychische Beeinträchtigung habe. Heute kann ich erkennen, dass ich bereits vor diesem ersten extremen Ausbruch der Erkrankung immer wieder mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte. Die Folgen der schweren Depression waren bei mir krass: Ich bin in die Obdachlosigkeit gefallen und habe eineinhalb Jahre auf der Straße aus Mülltonnen gelebt.

So ein sozialer Absturz ist für viele Menschen mit psychischer Erkrankung mit einem Ausstieg aus dem gesellschaftlichen Gefüge verbunden. Wie konnte es Ihnen gelingen, wieder ins Leben zurückzukehren?

Kurt Senekovic: Wie es oft im Leben so ist, hat anscheinend noch jemand mit mir etwas vor gehabt. Wie so oft im Leben habe ich zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Menschen kennen gelernt. Ich habe einen Betreuer vom Obdachlosenheim der Caritas kennengelernt, der mein erster „Therapeut“ war. Er hat sich für mich interessiert, ich konnte mit ihm Nächte lang reden. In dem Obdachlosenheim hatte ich auch die Unterstützung durch Sozialarbeit. Aufgrund der Depression war es mir nicht möglich gewesen zum AMS zu gehen und Arbeitslosengeld zu beantragen. Ich war im Vergleich zu früher sehr handlungsunfähig und konnte diesen Zustand kaum ertragen. Immer wieder sind auch Suizidgedanken aufgetaucht, aber es ist mir Gott sei Dank nicht gelungen, denn heute weiß ich, dass das Leben auch mit einer psychischen Erkrankung sehr lebenswert sein kann.

Welche ersten Bausteine waren und sind für Sie am Weg zur Gesundung wichtig?

Kurt Senekovic: Ich bin lange Zeit in Psychotherapie gewesen. Ich habe psychiatrische Hilfe in Anspruch genommen und war beim BBRZ (Berufliches Bildungs- und Rehabilitationszentrum) zur Berufsorientierung. Dort habe ich meine Frau kennengelernt, die dort am 2. Bildungsweg eine neue Ausbildung gemacht hat. Ich habe ihr gegenüber von Anfang an mit offenen Karten gespielt und ihr gesagt, dass ich eine psychische Erkrankung habe, aber jetzt stabil bin. Sie konnte sich nicht wirklich vorstellen, was es heißt, wenn die Erkrankung richtig ausbricht….

… und die Erkrankung ist dann wieder ausgebrochen…?

Kurt Senekovic: Ja, sie ist wieder ausgebrochen, trotz sozialer Stabilisierung und neuer Partnerschaft. Obwohl ich ein Dach über den Kopf hatte, bin ich wochenlang auf den Straßen von Graz unterwegs gewesen, wo ich jede Parkbank kenne. Meine damalige Freundin war noch nie mit so einer Situation konfrontiert und hat überhaupt nicht verstehen können, was da los ist. Sie hat sich informiert, sich eingelesen. Es ist dann gegen meinen Willen zu einer Einweisung ins psychiatrische Krankenhaus gekommen, das war brutal, aber notwendig.

War diese Einweisung für Sie ein Wendepunkt?

Kurt Senekovic: Nicht gleich. Es hat lange gebraucht, bis bei mir eine Krankheitseinsicht da war. Ich war zwar in sozialpsychiatrischer Betreuung, habe aber die Medikamente immer wieder abgesetzt, weil ich dachte, dass es auch ohne gehen muss. Als meine Frau Geburtstag hatte, konnte ich ihr aufgrund meiner schlechten finanziellen Situation nichts kaufen. Sie hat dann zu mir gesagt, dass sie sich nur ein Geschenk von mir wünscht: Dass ich zum Psychiater gehe und mich medikamentös einstellen lasse. Da bin ich zum Arzt gegangen und so kam ich zu meiner Medikation.

Und das war auf einmal ganz einfach mit den Medikamenten?

Kurt Senekovic: Nein, sicher nicht. Es wurde einiges probiert, bis ich zu meinen passenden Medikamenten gekommen bin. Es war mir immer wichtig, dass ich mich spüren kann und dass die anderen mich spüren und ich durch die Medikation gefühlsmäßig nicht zugmauert werde. Das ist nach mehreren Anläufen gelungen, ich habe keine Nebenwirkungen. Ich habe zwar an Gewicht zugelegt, aber das ist der Schweinsbraten…

Sie sind nun schon viele Jahrzehnte stabil und haben nur mehr kleinere Stimmungsschwankungen. Wie kann man sich das vorstellen?

Kurt Senekovic: Ich bin jetzt seit ca. 12 Jahren stabil, d.h. ich hatte keine manischen und keine depressiven Phasen mehr. Natürlich gibt es Durchhänger im Leben – aber das heißt nicht Depression und natürlich gibt es Freude im Leben, aber das heißt nicht Manie.

Wie kamen Sie schließlich zu Ihrer Tätigkeit im Sozialbereich?

Kurt Senekovic: Es zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben, Sprachrohr für die Schwächeren zu sein. Ich war immer Klassensprecher in der Berufsschule und ich war bis zu meinem schweren Zusammenbruch Betriebsratsvorsitzender, wo ich gearbeitet habe. Es war aber schon klar, dass ich ohne Ausbildung keine Anstellung bei einer sozialpsychiatrischen Trägerorganisation bekommen kann. Ich habe dann ein Praktikum im Sozialbereich gemacht, wo ich die Möglichkeit hatte, in den niederschwelligen Bereich der Selbsthilfe einzusteigen. Damals habe ich das Konzept für das Projekt Sonnenaufgang geschrieben (in einer leichten Manie, denn sonst bin ich nicht der tolle Schreiber). Das Projekt ist gut angelaufen und es sind viele Menschen gekommen und haben Hilfe gesucht. Ich alleine hatte nicht die Stabilität, die Selbsthilfe alleine durchzuziehen, ich bin wieder depressiv geworden und alles, was ich fünf Jahre lang ehrenamtlich aufgebaut habe, (ich war damals Sozialhilfeempfänger), ist wieder den Bach hinunter gegangen.

Sie sind Gründer und Leiter der Betroffenenorganisation „Achterbahn“ in der Steiermark. Wie kam es zur Entstehung dieses Vereins?

Kurt Senekovic: Wie es so im Leben ist, wieder die richtigen Leute zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Mit Freunden, die ich schon vom Projekt Sonnenaufgang kannte, gründete ich 2006 den Verein Achterbahn. Beim Psychiatriekoordinatorentreffen, wo ich als Teilnehmer dabei sein konnte, habe ich die richtigen Menschen kennengelernt, die von der Notwendigkeit einer Betroffenenorganisation überzeugt waren und mir ihre Unterstützung zusicherten. 2007 ist dann das erste Geld von der Landesregierung bewilligt worden. Heuer haben wir zehn Jahre Achterbahn gefeiert, es gibt mittlerweile neun Standorte in der Steiermark und es stehen mittlerweile zwölf MitarbeiterInnen auf der Gehaltsliste. Wenn mir vor zehn Jahren jemand diese Entwicklung prophezeit hätte, hätte ich ihm geantwortet: „Du hast wohl deine Tabletten heute vergessen.“

Welche Anliegen verfolgen Sie mit „Achterbahn“?

Kurt Senekovic: Wir hatten 2016 rund 6000 Kontakte mit Hilfesuchenden. Wir sind mittlerweile in vielen Gremien vertreten, wo es um Planung der psychiatrischen Versorgung geht. (Psychiatriekoordination, Unterbringungsgesetz, Erwachsenenschutzgesetz etc.) Es ist mein wichtigstes Anliegen, dass wir Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen auf politischer Ebene bei der Planung menschenwürdiger Rahmenbedingungen mitwirken und dass wir darauf achten, dass die geschaffenen Errungenschaften nicht verloren gehen. Selbsthilfe einerseits und Entstigmatisierung andererseits sind die beiden wichtigen Säulen des Vereins „Achterbahn“.
Die Manie hat mich oft unterstützt, etwas weiter zu bringen, die Depression hat mich oft gebremst, aber es ist mir doch gelungen, das umzusetzen, was mir ein Herzensanliegen war: Die Anliegen von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen nach außen hin zu vertreten.

Herr Senekovic, Sie sind Träger des Menschenrechtspreises des Landes Steiermark und des Goldenen Ehrenzeichens des Landes Steiermark. Von ganz unten aus der Obdachlosigkeit in die Leitung eines Selbsthilfevereins und zum Ehrenträger – das ist Ihre persönliche Erfolgsgeschichte. Wie schaffen Sie es trotz dieser Höhenflüge die Bodenhaftung zu bewahren?

Kurt Senekovic: Das Schicksal hat es gut mit mir gemeint, ich habe aus der Obdachlosigkeit in ein sinnvolles, zufriedenes Leben zurückgefunden. Mir ist immer bewusst, welches Glück mir zu Teil wurde und das verleiht mir Bodenhaftung, vor allem in Momenten großer Erfolge. Außerdem ist mir klar, dass ich ohne das Achterbahn-Team nicht dort wäre, wo ich heute stehe.


Kurzgiografie:
Kurt Senekovic (*1959 in Lustenau) ist Begründer, Obmann und Geschäftsführer des Vereins Achterbahn sowie Botschafter der Antidiskriminierungsstelle des Landes Steiermark. Seine psychischen Probleme und deren Verdrängung führten ihn einst bis in die Obdachlosigkeit. Der gebürtige Weststeirer traf in dieser Lebenskrise die richtigen Menschen und es ging langsam wieder bergauf. Stabilität und Lebensmut kehrten zurück. Die Hoffnung, dass alles wieder gut werden kann, versuchen Kurt Senekovic und sein 14-köpfiges Team seit 2007 im Verein "Achterbahn" auch anderen Betroffenen weiterzugeben.
Die viel beachtete Dokumentation „Wellentäler“ (A 2015; www.redwire.at) versucht diesen Lebensweg nach zu zeichnen.

Auszeichungen:
gustl58-Preis 2013
Menschenrechtspreis des Landes Steiermark 2014
Träger des Goldenen Ehrenzeichens des Landes Steiermark (seit 2017)


 

In der Zeitschrift der HPE-Österreich „KONTAKT“ werden Artikel und Vorträge führender Fachkräfte im psycho-sozialen Bereich speziell für Angehörige aufbereitet. Es werden Beiträge von Angehörigen und Betroffenen veröffentlicht und über aktuelle Themen im psycho-sozialen Bereich berichtet. Selbstverständlich dient die Zeitschrift auch für Vereinsinformationen, wie etwa der aktuelle Veranstaltungskalender für alle Bundesländer.
Die Zeitschrift „KONTAKT“ erscheint 5 mal pro Jahr mit einer Auflage von 2.800 Stück und einem Umfang von durchschnittlich 32 Seiten je Ausgabe.

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