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AKTUELLES

13.01.2012

Arbeitsunfähigkeit und Frühpension durch Depression

Der Artikel des Max Planck Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaft beschäftigt sich mit Arbeitsunfähigkeit und Frühpension durch psychische Erkrankungen, vor allem Depression, die immer mehr ArbeitnehmerInnen aufgrund von erhöhtem Leistungsdruck, ständiger Erreichbarkeit in einer globalisierten Arbeitswelt und einer starken Konkurrenz im beruflichen Alltag trifft und plädiert für die zielgerichtete Prävention von Depressionen im Interesse aller Beteiligten. Die angeführten Zahlen betreffen Deutschland, können aber prozentuell gesehen auch auf Österreich angewendet werden.

"In unserer globalisierten und wettbewerbsorientierten Umwelt werden wir heutzutage mit vielfältigen körperlichen und geistigen Herausforderungen konfrontiert. Neben inhaltlichen oder handwerklichen Fähigkeiten, gewinnen im modernen Berufsalltag vor allem soziale Kompetenzen an Bedeutung. Flexibilität, Mobilität und eine hohe Kommunikationsfähigkeit – um nur einige zentrale Punkte zu nennen – werden in vielen Branchen selbstverständlich vorausgesetzt. Der erhöhte Leistungsdruck, die ständige Erreichbarkeit in einer globalisierten Arbeitswelt und eine starke Konkurrenz im beruflichen Alltag fordern jedoch ihren Preis: Immer mehr Arbeitnehmer leiden nicht allein an körperlichen Beschwerden, sondern erkranken auch psychisch.


So erklärt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beruflichen Stress zu „einer der größten Gefahren des 21. Jahrhunderts“ (1). Nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten Europäischen Union gehören psychische Belastungen inzwischen zur größten gesundheitspolitischen Herausforderung. Mittlerweile sind 165 Millionen Menschen, also etwa 38 Prozent aller Einwohner der EU, heute von einer klinisch relevanten psychischen Störung betroffen (2)

Die große Bedeutung psychischer Krankheiten wird in der öffentlichen Wahrnehmung und in den Unternehmen jedoch leider häufig noch unterschätzt, obwohl insbesondere Depressionen mittlerweile zu den am häufigsten diagnostizierten psychischen Beschwerden zählen. Wenn Depressionen öfter als Rückenschmerzen und Erkältungen festgestellt werden, muss bereits von einer „versteckten“ Volkskrankheit gesprochen werden. Dieser neue Stellenwert der Krankheit Depression führt unweigerlich zu einer gesteigerten gesundheitspolitischen sowie -wirtschaftlichen Relevanz von Prävention. Denn Depressionen haben ganz konkrete negative Auswirkungen auf alle Akteure des Gesundheitssystems: auf Patienten und deren Angehörige, auf Leistungserbringer und Kostenträger, auf einzelne Betriebe und die gesamte Volkswirtschaft.

Aus volkswirtschaftlicher Perspektive betrachtet entstehen der deutschen Wirtschaft durch Krankheitsfälle jährlich Kosten in Höhe von 225 Milliarden Euro, dies sind ca. 9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Der Anteil der auf psychischen Krankheiten steigt dabei stetig an und beläuft sich mittlerweile auf zirka 28 Milliarden Euro jährlich (3). Auf das Individuum heruntergebrochen, bedeutet dies durchschnittliche Kosten von 2518 Euro. Davon machen die direkten Kosten für Arzt- und Psychotherapeutenbesuche sowie Arzneimittel nur 18 Prozent aus. Ganze 82 Prozent der Kosten entstehen jedoch indirekt durch den Produktionsausfall eines Beschäftigten (4). 16 Prozent aller verlorenen Erwerbstätigkeitsjahre entfallen auf psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen (5). Indirekte Kosten stellen folglich einen noch bedeutenderen Kostenfaktor als direkte Kosten dar und belasten die betriebliche und volkswirtschaftliche Produktionskraft.

Zudem stellen Depressionen derzeit die dritthäufigste Einzeldiagnose bei Arbeitsunfähigkeits(AU)-Tagen dar (6). Insgesamt verursachen psychische Erkrankungen wie Depressionen durchschnittlich 40 AU-Tage (7) und sind die Hauptursache für frühzeitige Berentungen (8). 2010 mussten sich im gesamten Bundesgebiet nahezu 71 000 Männer und Frauen wegen seelischer Leiden frühzeitig berenten lassen – 2009 waren dies noch knapp 64 500 (9). Darüber hinaus tritt die Frühberentung immer früher im Leben der Betroffenen ein, denn während 1980 alle erwerbs- und arbeitsunfähigen Neurentner noch im Schnitt 56 Jahre alt waren, sind sie heute durchschnittlich nur noch knapp 50 Jahre alt.10 Psychische Erkrankungen sind folglich heute eine der Hauptursachen für Arbeitsunfähigkeitstage, lange Fehlzeiten und Frühberentung.

Vor diesem Hintergrund liegt die zielgerichtete Prävention von Depressionen im Interesse aller Beteiligten. Hilfestellungen für die Betroffenen, die Reduzierung der Gefahr von Folge- und Begleiterkrankungen und die damit verbundenen Kosteneinsparungen für die Sozialsysteme sind hier nur einige Anknüpfungspunkte. Um dieser Entwicklung gezielt entgegenwirken ist eine Verbindung aus Früherkennung, Verbesserung der Versorgungssituation und Prävention notwendig. Angesichts des Stellenwertes depressiver Erkrankungen in der Gesellschaft sollten psychologische Betreuung und Vorbeugung von Depressionen als Kern¬bestandteile in jede betriebliche Gesundheitsförderung aufgenommen werden. Auf diese Weise bestünde die Chance, durch eine ganzheitliche Vorsorge in Betrieben psychische Belastung zu einem frühen Zeitpunkt aufzudecken und damit langfristig auch krankheitsbedingte Fehl- und Ausfallzeiten sowie Frühberentungen zu vermindern."

QUELLEN:
(1) Krankes Kapital, in: Der Tagesspiegel, 22.12.2011.
(2)Wittchen, H. U. et al.: The size and burden of mental disorders and other disorders of the brain in Europe 2010. European Neuropsychopharmacology 2011, 21 (9), S. 655–79.
(3) Statistisches Bundesamt: Hohe Kosten durch Demenz und Depressionen, 11.08.2010. Online verfügbar unter: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2010/08/PD10__280__23631,templateId=renderPrint.psml
(4) Gandjour A et al.: Costs and quality in the treatment of acute depression in primary care: a comparison between England, Germany and Switzerland. In: International Clinical Psychopharmacology, 19(4); 2004.
(5) Ebenda
(6) DAK-Gesundheitsreport 2011, S. 34.
(7) BarmerGEK-Gesundheitsreport 2010, S. 20.
(8) Rentenversicherung Bund, 2008, zitiert nach: Harfst, Marstedt; Gesundheitsmonitor, Bertelsmann Stiftung, 1/2009.
(9) Öchsner,T.: Aufhören, weil die Seele leidet, in: Süddeutsche Zeitung, 16.10.2011.
(10) Ebenda

LINKS:
www.dialogforum-depression.de
Max Planck Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaft

Bildquelle: abendblatt.de