achterbahn

AKTUELLES

10.07.2023

Wahrnehmung des öffentlichen Raumes bei psychischen Krisen

Unter diesem Motto machte sich letzten Mittwoch unter der Leitung von Edith Zitz eine bunte Gruppe von Interessierten im Lendviertel auf, um Teile des Bezirkes zu erkunden.


Zuversicht-Rundgang-WEB-6056.klein
    © Nikolaos Zachariadis

Am 5. Juli machte sich um 13:00 Uhr eine Gruppe aus Teilnehmenden auf, die Gegend um den Lendplatz mit Hauptaugenmerk auf Wahrnehmung des öffentlichen Raumes bei psychischen Krisen zu erkunden.

Auf der Route zwischen Lendplatz und Südtirolerplatz zeigte sich in der Mariahilferstraße zunächst verkehrsberuhigte Straßen, die durchdacht wirken und die Lebensqualität auch für weniger mobile Menschen erhöhen.
Lend sticht durch den sozioökonomischen Umbau hervor und ist von Gentrifizierung geprägt. Ein unerwünschter Effekt sind unter anderem die dadurch erhöhten Mieten im kreativen „In-Bezirk“ von Graz.

Wahrnehmung aus der Perspektive psychisch belasteter Menschen
Bei der Begehung stand die Frage im Fokus, wie Personen in psychischen Krisen den öffentlichen Raum wahrnehmen (könnten). Personen mit Depressionen, Ängsten oder anderen Beeinträchtigungen ziehen sich beispielsweise verstärkt aus dem öffentlichen Raum zurück – sei es, um dem Gefühl des Beobachtet-Werdens zu entgehen, sei es, um Fragen von Bekannten nach dem Befinden zu vermeiden, sei es, weil Sonne, Hitze, Kälte und Lärm massive Stressoren sind. Diese Isolation kann gesundheitliche Krisen nochmals verschärfen.
Psychisch belastete Menschen können Schwierigkeiten haben, sich örtlich zurechtzufinden bzw. können wegen Konzentrationsproblemen Ortsangaben schlechter nachvollziehen. Diese müssen auch in bekannten Gegenden in Ausnahmesituationen nach dem Weg fragen, was nicht selten mit großer Schwellenangst einhergeht – insbesondere bei Menschen mit sozialen Ängsten.
Kurze, nicht zu detailreiche Ortshinweise bieten hier Abhilfe, ebenso angemessen artikulierte Angebote zur Begleitung. Hilfsbereitschaft zufällig anwesender Personen ist in krisenhaften Situationen für Betroffene wichtig, beruhigt und gibt Sicherheit.

Gesellschaftspolitische Teilhabe
Auch Teilnahme an gesellschaftspolitischen Veranstaltungen, wie Kundgebungen oder Demonstrationen mit dichten, lauten Menschenansammlungen kann für Menschen in seelischen Krisen unmöglich sein.
Eine inklusive Demo-Kultur fehlt für diesen Aspekt noch.

Zuversicht-Rundgang-WEB-6064.klein
    © Nikolaos Zachariadis

Begegnungsräume
Es besteht allgemein der Eindruck, dass es zu wenig konsumfreie Räume für Erwachsene gibt – und patriarchale Geschlechterverhältnisse verschieben dies nochmals zum Nachteil von Frauen* und Mädchen*.
Hohe Bedeutung nehmen – insbesondere in diesen heißen Sommertagen – begrünte, beschattete Sitz- und Verweilmöglichkeiten ohne Konsumzwang ein. Leider müssen Grünflächen zunehmend weichen, was die Lebensqualität von Anrainer:innen und Besucher:innen senkt.

Ausreichende saubere Toiletten, sowie Trinkwasser-Brunnen im öffentlichen Raum sind große Pluspunkte.
Die ausgeprägte Gasthaus-Kultur hat große Bedeutung für die Bezirke Lend und Gries. Sie bietet Menschen traditionell Begegnungsräume und Arbeitsplätze.
Beim Café Centraal, das früher ein typisches Grazer-Vorstadt-Bordell war, wurde sich über aktuelle Entwicklungen der Sexarbeit in Graz ausgetauscht: Derzeit sind viele Laufhäuser an den großen Grazer Durchzugsstraßen angesiedelt.
Das Frauenservice Graz bietet mit dem Gesundheitsförderungsprojekt SXA breitgefächerte Unterstützung und Begleitung für Sexarbeiter*innen an.

Niederschwellig zugängliche Anlaufstellen für Menschen in Krisensituationen – wie zum Beispiel das ansässige Frauencafè Palver am Lendplatz – sind essenziell und sollten weiter ausgebaut werden – beispielsweise für Betroffene und Angehörige von Suchterkrankungen, da diese häufig in engem Zusammenhang mit psychischen Krisen stehen.

Zuversicht-Rundgang-WEB-6145.klein
    © Nikolaos Zachariadis

Ein wohlwollender, aufeinander bezogener menschlicher Umgang im öffentlichen Raum, wo Nähe und Distanz permanent spürbar sind und immer wieder ausverhandelt werden, ist dabei das „Um und auf“. Eine durchdachte Stadtplanung ist dafür eine wichtige Antistigma-Grundlage.

Organisiert wurde der Spaziergang im Rahmen des inspire-Projektes Zuversicht zur Förderung der seelischen Gesundheit von prekär erwerbstätigen und lebenden Personen.
Die Teilnehmenden kamen unter anderem aus den Organisationen b.a.s. – Steirische Gesellschaft für Suchtfragen, dem Trialog und Achterbahn Steiermark.

Die Ergebnisse der Begehung wurden foto- und videodokumentiert und werden beim Zuversicht-Fachtag am 28.9.2023, 14.00-17.00 im Grazer Rathaus vorgestellt. Sie sollen einen Beitrag für einen inklusiv gestalteten öffentlichen Raum für Menschen, unabhängig von ihrem aktuellen psychischen Befinden, leisten.

>> Näheres